Belgien: Unsere Muttermilch stammt vom Apfelbaum - Reise - FAZ

2022-05-28 02:25:51 By : Mr. Bill Yang

Warum sehe ich FAZ.NET nicht?

Permalink: https://www.faz.net/-gxh-87vsz

Aktuelle Nachrichten aus Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur

Herausgegeben von Gerald Braunberger, Jürgen Kaube, Carsten Knop, Berthold Kohler

In Clermont-sur-Berwinne hat man den Eindruck, dass die Drei Musketiere jederzeit um die Ecke biegen könnten. Bild: Rob Kieffer

Käse, Bier, Sirup: Das Pays de Herve im Osten Belgiens liegt inmitten einer hochindustrialisierten Region. Doch es ist eine Bastion üppiger Natur und guten Geschmacks geblieben.

Permalink: https://www.faz.net/-gxh-87vsz

D ie Annäherung an das Pays de Herve ist irritierend. Verlässt man die Autobahn von Aachen nach Lüttich an der Ausfahrt, die zu den Hauptorten Battice und Herve führt, gerät man in einen Kreisverkehr, an dem lebensgroße Plastikkühe wie kitschig-ironische Kunstwerke von Jeff Koons stehen. Sie werben leicht ungelenk für das Rurale und Bukolische des Herver Landes, einer fünfhundert Quadratkilometer kleinen Gegend in der Provinz Lüttich.

Doch erst einmal folgt man einer schmucklosen, verkehrsreichen Nationalstraße, an der sich Autowaschanlagen, Baumärkte, Discounter und Werbetafeln ungeniert bis an die Fahrbahn herandrängeln. An der Peripherie wiederum wähnt man sich in einem Musterkatalog gehobener belgischer Wohnkultur. Es sind keine Protzvillen, die entlang der Straße aufgereiht sind, sondern adrette, freistehende Einfamilienhäuser mit Ziegeleinkleidung in allen nur denkbaren Rot- und Braunschattierungen. Auf den Dächern sind Solarzellen installiert, die Zufahrten zu den Doppelgaragen sind sorgfältig gekärchert, und die Pflugscharen, die die Vorgärten dekorieren, leuchten im frischen Rostschutzmantel genauso knallig wie die Geranientöpfe.

Doch jenseits des städtischen Siedlungseinerleis beginnt eine ganz andere Welt, in der sich verschlungene Wege wie ein Spinnennetz über die Landschaft legen. Man versöhnt sich augenblicklich mit der als grüne Bastion im zersiedelten, hochindustrialisierten Dreiländereck Belgien-Deutschland-Niederlande gepriesenen Region. Schmale, kurvenreiche Trassen führen den Autofahrer an Weiden und Obstwiesen vorbei, die von Hecken umkränzt sind wie in der Bocage-Landschaft der Normandie. Man überholt Radsportler, die schwankend aus dem Sattel gehen, um rollende Hügel zu attackieren, wie man sie von der Toskana kennt. Wenn man den Motor abstellt, hört man den von den nicht allzuweit entfernten Eifel- und Ardennenkämmen herabwehenden Wind in den Gräsern und das Krächzen von Krähen und Dohlen, die unablässig die um jeden Höhenmeter wetteifernden Kirchtürme und Silos umkreisen. Gegen Abend muss man öfters den Wagen stoppen, weil herumalbernde Mädchen, in Gummistiefeln und mit Stöcken bewehrt, heimtrottende Kühe über die Straße dirigieren. Schafe blöken einen an. Rings um die verstreuten Bauernhöfe aus Kalk- und Bruchstein riecht es nach Dung und Stroh. Es ist ein Idyll, fast wie von Breughel gemalt.

Die hochstämmigen Obstbäume pflanzte man einst, um dem Vieh Schatten zu spenden. Und die schulterhohen Hecken dienten in Zeiten, in denen der Stacheldraht noch nicht erfunden und der Holzzaun teuer war, als natürliche Eingrenzung der Parzellen. In den Nachkriegsjahren hätte man dieses einzigartige, verfilzte Landschaftslabyrinth beinahe vernichtet. Hecken und Bäume waren von Schädlingen befallen und erschwerten außerdem den Einsatz schwerer Landwirtschaftsmaschinen. Also entlohnten die Behörden die Züchter und Bauern mit großzügigen Prämien, wenn sie Heckenwälle und Obstbäume niederrissen. Doch dann sah man ein, welcher Irrsinn es war, eine der schützenswertesten Naturszenerien Belgiens sozusagen von Staats wegen auszulöschen. Man zog die Notbremse, und dann ging es in die andere Richtung: Anstatt der Demontage wurde die Wiederanpflanzung subventioniert.

Die Landschaft hat sich mittlerweile erholt und ihr ursprüngliches Aussehen wiedererlangt, so dass man sie wie seit jeher auf alten Pfaden erwandern kann. Der Chemin des échaliers zum Beispiel führt auf fünfzig Kilometern von Zauntritt zu Zauntritt. Indem man auf Leitern über die Hecken steigt oder Drehkreuze an den Zäunen benutzt, zieht man quer über die Weiden, ohne dass ein Ausbrechen des Viehs zu befürchten wäre. Stege überbrücken schilfige Teiche und die stillgelegte Eisenbahnlinie 38, die zur Wander-, Reiter- und Radpiste ausgebaut wurde.

Permalink: https://www.faz.net/-gxh-87vsz

Radtour in Holland : Was schert uns der Gegenwind

Früher war hier Meer: Durchs Polderland von Deich zu Deich und Windmühle zu Windmühle – mit E-Bikes unterwegs in Zeeland.

FAZ Plus Artikel: Peru : Die Retter der Paranuss

Einmal im Jahr nehmen Sofia Rubio und Roy Riquelme Besucher mit in den Regenwald und zeigen ihnen die Schätze des Amazonas.

FAZ Plus Artikel: Tschechien : Wohl oder Rubel

Das tschechische Karlsbad war lange in russischer Hand. Jetzt rücken selbst die Russen der Kurstadt von ihrer Heimat ab.

Rede vor Waffenlobby : Trump fordert Schusswaffen zur Verteidigung gegen "das Böse"

Schwarz-grün in NRW : CDU und Grüne vereinbaren Eckpunkte für mögliche Koalition

Energiepreise : Heil will Klimageld für Menschen mit Einkommen unter 4000 Euro

Hohe Inflation : Wenn Bio unbezahlbar wird

© Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH 2001 - 2021 Alle Rechte vorbehalten.

Belgien: Unsere Muttermilch stammt vom Apfelbaum

Unsere Muttermilch stammt vom Apfelbaum

Käse, Bier, Sirup: Das Pays de Herve im Osten Belgiens liegt inmitten einer hochindustrialisierten Region. Doch es ist eine Bastion üppiger Natur und guten Geschmacks geblieben.

Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte überprüfen Sie Ihre Eingaben.

Vielen Dank Der Beitrag wurde erfolgreich versandt.