Platz für die Plauze - WELT

2021-12-29 21:12:03 By : Ms. Candice Mao

H eute kann, wer will, den „Tag der Jogginghose“ begehen. Ein Grund die wechselvolle Geschichte der Hose zu betrachten

Vor vier Jahren hat ein junger Österreicher den 21. Januar zum „Tag der Jogginghose“ auf Facebook ausgerufen. Sich über den Sinn solcher Tage zu unterhalten, ist müßig, und wenn wir schon dabei sind: An diesem Tag wird übrigens auch der „Weltknuddeltag“ (siehe links) begangen. Nun wollen wir allerdings der Jogginghose gedenken – und das hat ja auch irgendwie mit Knuddeln zu tun. Kaum ein Kleidungsstück durchlief in den letzten Jahrzehnten so viele Metamorphosen wie diese Hose. Ihr zu Ehren soll man sie deshalb an diesem Tag tragen – egal wo. Ob im Büro, in der Schule oder auf der Straße.

Die Geschichte der Jogginghose begann eigentlich ganz harmlos. Sie kam in den 70er-Jahren als Turnhose aus den Vereinigten Staaten zu uns nach Deutschland, als funktionelle Bekleidung beim Dauerlauf. Hergestellt aus innen flauschig aufgerautem Baumwolltrikot war sie die ideale Bekleidung für die neu entstandene Fitness-Bewegung. Dazu passend gab es Jogging-Schuhe, Jogging-Socken, Jogging-Jacken. Je populärer der Sport wurde, desto präsenter wurde auch die Hose, und der findige Faulenzer merkte schnell, welchen Komfort die Hose zu bieten hatte. Figurprobleme ließen sich wunderbar unter dem locker sitzenden Stoff kaschieren, der Bund zwickte nicht, die Plauze konnte wachsen, ohne dass es jemand merkte. Ein Geschenk für die Sofalümmler und Sportverweigerer. Aus der Sporthose wurde ein Symbol der Gemütlichkeit, und so manch einer wagte sich damit auf die Straße zum Einkauf oder sogar ins Büro. An Orte, für die sie sich eigentlich disqualifiziert, weil sie ihrem Gegenüber rotzfrech sagt: „Ich habe keinen Respekt vor dir, vor deiner Arbeit und eigentlich auch nicht vor mir selbst.“ So verkam sie langsam zur kulturlosen Milieukluft. Zur Uniform der Arbeitslosen und Sozialschmarotzer, die man auftrug, um zu sagen: „Ich bin ein Verlierer, die da oben sind Schuld an meinem Elend, und eigentlich geht’s mir ganz gut damit.“

Aber sie hatte damals wenigstens noch so was wie eine politische Botschaft. Das war in den 90er-Jahren, in den Jahren nach der Wiedervereinigung, als die Zahl der Arbeitslosen in den neuen Bundesländern in die Höhe schnellte. Dann ging die politische Botschaft völlig dahin, und das schmuddelige Beinkleid kam an den traurigen Tiefpunkt seiner Daseinsberechtigung. Die Jogginghose wurde gar „Schnellfickerhose“, kurz „Schnefi“, genannt und entwickelte sich optisch weiter: Man konnte sie nun seitlich entlang der Beine auf- und zuknöpfen und aus Baumwolle wurden nun 100 Prozent Polyester.

Sie hatte offensichtlich ein ziemliches Imageproblem. Man schimpfte sie „kulturlos“ und „asozial“. Und weil sie den Style der Straße verkörperte – als Uniform der Verlierer –, entdeckte die Hip-Hop-Szene die Hose plötzlich für sich. Rap-Stars wie Eminem und Bushido trugen sie stolz als Zeichen ihrer Herkunft. Extra large. Besonders kulturlos, ein Mutterschreck in jeder Hinsicht. Das brachte die Jogginghose dann schließlich auch auf die Schulhöfe und in die Klassenzimmer und soll so manche Schule zu einer Einführung einer Kleiderordnung veranlasst haben. Die Hose gehörte schließlich nur in den Sportunterricht. Und nicht nur die Jugendlichen guckten sich den Streetstyle der harten Jungs ab. Auch Sternchen wie Paris Hilton fanden Gefallen und brachten das Modell „rosa und samtig“ auf die roten Teppiche und zu den VIP-Partys.

Doch so richtig wurde sie ihr Image trotzdem nicht los und fristet weiterhin ein Dasein als Prollkluft. Aber etwas hat sich doch verändert, denn die Jogginghose fährt zweigleisig. Sie hat es nämlich auch auf internationale Laufstege geschafft. Designer wie Michael Michalsky geben ihr eine Chance und interpretieren sie neu: Dezent, unaufgeregt, kombiniert mit Jackett und Hemd oder High Heels. Das wiederum hat sie auch auf die Straßen der hippen Großstadt gebracht. Dazu bunte Sneaker, Truckercap und Jutebeutel. Hier ist die Jogginghose irgendwie mehr Philosophie als einfach nur eine Hose. Sie ist ein Statement zum Understatement. Zur Nonchalance, mit der man durchs Leben geht. Oder vorgibt zu gehen.

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