Urlaubserlebnisse der SPIEGEL-Redaktion 2021: Vom Baikalsee bis ins Sauerland - DER SPIEGEL

2021-12-29 21:07:05 By : Ms. Pat Chen

Inzidenzen, die durch die Decke gehen, die Rückkehr ins Homeoffice und die neue Omikron-Variante – die Stimmung ist derzeit ziemlich düster. Doch das Jahr 2021 hatte durchaus seine heiteren Momente, sogar Urlaubsreisen waren trotz Coronakrise möglich. Eventuell nicht zum Traumziel in der Ferne, dafür vielleicht aber zu einem bisher nicht entdeckten in der Nähe.

»Welche Reisen haben Euch 2021 froh gemacht – und was am Reisen?«, haben wir unsere Kolleginnen und Kollegen gefragt. Glücklich waren sie über Urlaubsformen, die sie ohne Corona nie probiert hätten, über die Rückkehr zu altvertrauten Zielen und über unvermutete Abenteuer. Hier ist der erste Teil der gesammelten Erlebnisse.

Insel Olchon im Baikalsee: Ohr am Eis

»Wir waren zu dritt und ganz allein an diesem Februarmorgen auf dem Eis vor dem Kap Choboj. An der Nordspitze der Insel Olchon im sibirischen Baikalsee war es relativ windstill bei etwa minus 16 Grad, für sibirische Verhältnisse ein milder Wintertag. Vor uns an den meterhohen Felsen des Kaps stapelten sich bläulich-türkis schimmernde Eisplatten. Unter unseren Füßen erstreckte sich eine endlose schwarze Fläche, metertiefes Eis, manchmal durchzogen von weißen Blasen oder Linien, kleinen Brüchen, manchmal bedeckt mit etwas Schnee.

Nördlich des Kaps ist der Baikalsee, der größte Süßwassersee der Erde, mit rund 80 Kilometern am breitesten. Wir nahmen kleinere Eisplatten, setzten uns darauf und ließen uns von den anderen anschieben wie auf einem Schlitten; wir schlitterten und drehten uns juchzend wie kleine Kinder auf dem Eis. Wir beobachteten schwarze Vögel, die am Kap entlangsegelten, genossen die Sonne, die durch die Wolken brach und sich auf dem Eis spiegelte.

Irgendwann lagen wir auf dem Eis, mit dem Kopf so, dass wir mit einem Ohr hören konnten, was unter uns vor sich geht. Etwas unheimlich war das. Es hörte sich an, als ob einer in den Tiefen des Sees mit einem Hammer gegen einen Schiffsbug hauen würde. Die Geräusche wurden mal leiser, dann lauter, kamen wie in Wellen. Dazwischen knackte es. ›Die Musik des Eises hören‹, nennen das die Einheimischen auf Olchon.«

Christina Hebel, Korrespondentin in Moskau

Zelten auf Amrum: Zufällig dem Fremden über den Weg gelaufen

»Zu den Sonderbarkeiten der Coronazeit gehört, dass eine meiner schönsten Reiseerinnerungen mit der Reise eines Fremden zusammenhängt. Ich war mit dem Kind einer Freundin am Hamburger Hafen, als wir den Fremden trafen. Es war ein Frühlingstag, der Lockdown war gerade vorbei, und zufällig standen wir zur gleichen Zeit an einem Schild, mit dem ein Teil des Weges abgesperrt war. So kamen wir ins Gespräch.

Der Fremde trug einen Wanderrucksack und befand sich mitten auf einer Reise. Zu Fuß wollte er von seinem Wohnort in Hessen an Deutschlands nördlichsten Punkt auf Sylt wandern. Wir begleiteten ihn ein paar Hundert Meter, zum Abschied schenkte er dem Kind einen Teil seines Proviants, einen Apfel und Weingummi, und wir tauschten Nummern aus. Wir fuhren nach Hause, während der Fremde entlang der Elbe weiterwanderte.

In den nächsten Wochen teilte er jeden Tag seine Reiseerlebnisse in seinem WhatsApp-Status. Kilometerangaben und Bilder von Schnecken und Deichen und Ortsschildern und dem Wattenmeer und einem Zelt und anderen Reisebekanntschaften. Es wurde zu einem festen Ritual für mich in den nächsten Wochen, jeden Abend an seiner Reise Anteil zu nehmen.

Im Sommer reisten wir nach Amrum und schlugen unser Zelt auf dem Campingplatz der Insel auf. Von dort führte ein Holzbohlenweg durch die Dünen. Auf diesem Weg trafen wir den Fremden wieder, zufällig und kurz bevor seine Reise zum nördlichsten Punkt am nächsten Tag auf Sylt enden sollte. Aber halt, der letzte Satz stimmt so nicht ganz. Denn zu diesem Zeitpunkt war er natürlich kein Fremder mehr.«

Maren Keller, Redakteurin im Ressort Leben

Stefan Weigels Reisegruppe: Mit dem Auto nach Venedig - eine gute Idee?

»Ich war noch nie in Venedig. Bis jetzt. Zu voll. Selbst, wenn man Menschen mag und gern viele um sich hat. Was ich von mir nicht behaupten würde. Doch jetzt, mit Virus und ohne Kreuzfahrtschiffe, schien es machbar. Da jedoch in unserer kleinen Reisegruppe umstritten war, wann ein Flugzeug als Verkehrsmittel sinnvoll und ökologisch vertretbar ist, und weil manche Teilnehmenden ihre Positionen häufig besser durchsetzen können als andere, sind wir mit dem Auto gefahren. Von Hamburg.

An sich eine bekloppte Idee, weil Venedig keine autofreundliche Stadt ist. Zu eng. Zu wässrig. Allerdings kann man auf einer Halbinsel parken (5 Euro am Tag) und sich stilvoll und lässig mit einem Boot in die Stadt fahren lassen. Außer, es ist Generalstreik. Beim Arbeitskampf endet des Italieners stilvolle Lässigkeit.

Zum Glück konnten wir mit dem Auto über den Hindenburgdamm (der dort eine Brücke und nicht nach Mussolini benannt ist) in die Stadt fahren – auf einen der letzten freien Parkplätze beim VIP-Service Blitz Exclusive (50 Euro am Tag).

Und falls jemand weiß, wie man als 56-jähriger deutscher Tourist einem jungen Venezianer auf einem Parkplatz voller Ferrari, Maserati und Lamborghini stilvoll und lässig die Schlüssel für einen VW Caddy in die Hand drückt, dann wäre ich für einen Tipp dankbar. Ich wusste es nicht. Venedig war dann übrigens großartig.«

Aufwärts am Langkofel: Mit leerem Magen durch die Südtiroler Berge

»In den Südtiroler Dolomiten, Ende Oktober. Mit Freunden machen wir eine etwa sechsstündige Wanderung am Langkofel. An einer Tankstelle haben wir noch ein paar Flaschen Wasser und, für den Fall kleiner Schwächeattacken, etwas Schokolade gekauft. So laufen wir los und freuen uns über die kalte Klarheit des Himmels und die Leere der Nachsaison.

Dass nicht mehr jede Hütte offen hat, leuchtet uns völlig ein. Bei der dritten werden wir ein bisschen misstrauisch, aber kein Problem, die auf der Hälfte der Strecke hat bestimmt geöffnet. Aber auch da: kein Mensch zu sehen, kein Rauch aus dem Schornstein. Also weiter, die Schokolade muss reichen.

Zwischendurch ein kurzer Blick aufs Handy: Der Kollege Stefan Weigel bedankt sich für einen Restauranttipp in Venedig. Ausgerechnet. Ich schreibe zurück: Bitte nicht daran erinnern, wir laufen hier gerade mit leerem Magen durch die Südtiroler Berge, alle Hütten zu, niemand hat uns vorgewarnt. Stefan schickt ein Foto zurück: derselbe Wanderweg im Sommer – Menschen im Gänsemarsch, dicht an dicht, maskentragend, es sieht aus wie in der Fußgängerzone im Advent.

Sofort bin ich versöhnt mit der Situation, die Landschaft wirkt plötzlich noch weiter, der Himmel höher. Und der Betreiber des Kiosks unten am Parkplatz macht kurz vor Sonnenuntergang das Geschäft seines Lebens.«

Anke Dürr, Ressortleiterin Leben

Strand von Vorupør: Blaue Fischerboote wie immer

»Falls Corona irgendetwas Positives bewirkt hat, dann dies: Wir haben Dänemark wiederentdeckt. Vor vielen Jahren waren wir schon einmal dort. Jetzt, zu Beginn des zweiten Coronasommers, ist die Lage entspannt, die Fallzahlen sind niedrig. Es gibt kaum noch Einschränkungen im Zielland.

Ende Mai machen wir uns also auf den Weg zu ›unserem‹ Häuschen in Thyborøn an der Nordseeküste – keine typische Ferienimmobilie, sondern ein charmanter Backsteinbau aus den Zwanzigerjahren. Unser dänischer Nachbar begrüßt uns mit ›Moin moin‹, denn er weiß, dass wir aus Hamburg kommen.

Endlich wieder das Meer und kilometerlange Strände erleben, die imposante Steilküste beim roten Leuchtturm in Bovbjerg, die leuchtend gelben Rapsfelder auf dem Weg dorthin, all das hatte ich vermisst. Die gelassene Lebensart der Dänen ebenso. Nicht umsonst belegen die Skandinavier in den Welt-Glücks-Rankings stets die vorderen Plätze.

Die hölzernen, hellblauen Fischerboote am sonnigen Strand von Vorupør erinnern mich an Portugal. Im nächsten Jahr wird es vielleicht wieder möglich sein, unbeschwerter in Richtung Süden zu reisen – doch Dänemark haben wir in unser Herz geschlossen.«

Eiffelturm: Schlangestehen musste man nicht, Paris war leer

Ein Paris-Trip mitten in der Pandemie? Stand nicht auf meiner Bucket List. Mit drei kleinen Kindern durch eine Großstadt ziehen, umgeben von Corona-Ansteckungsrisiken – wozu? Als wir aber die Autoroute für einen Urlaub im Südwesten Frankreich planten, fiel mein Blick nur noch auf ein Wort: Paris.

Ich recherchierte. Die Inzidenz war okay, die Wetterprognose gut, der Arc de Triomphe noch verpackt. Wir buchten ein Zimmer und freuten uns auf den Zwischenstopp. Vor Ort hatten wir zwei großartige Tage – ganz ohne Sightseeing-Stress. Wir wollten eh nicht viel in Innenräumen unterwegs sein, keine Museen abklappern.

Dafür bewunderten wir das silbrig im Abendlicht schimmernde Christo-Kunstwerk am Ende der Champs-Élysées. Und wir bestiegen den Eiffelturm. Bis zur zweiten Ebene sind es mehr als 700 Stufen. Schlange stehen mussten wir übrigens nicht, Paris war so leer.

Und so wurde unser Städtetrip zu einer Art Outdoor-Urlaub: Wir legten die meisten Strecken zu Fuß zurück. Wir konnten uns kaum trennen vom Tuileriengarten – die Kinder wegen des Nostalgiekarussells, wir Eltern wegen der grünen Fermob-Liegestühle am großen Wasserbassin. Wir bummelten durch das Szeneviertel Marais, holten uns Pastrami-Sandwiches aus dem jüdischen Delikatessenladen Sacha Finkelsztajn und aßen sie auf dem Platz gegenüber. Die Kinder reden noch heute davon, wie wir später auf dem Place des Vosges Fangen spielten und dass sie irgendwann mal zurück nach Paris wollen. Wieder Karussell fahren, Metro fahren – und dann auch mal die Mona Lisa angucken.

Julia Stanek, Redakteurin im Ressort Leben

Die Talsperre am Sorpesee: Acht Tage Sommerurlaub im Rentnerparadies

»Letztes Jahr Winnerath in Rheinland-Pfalz, dieses Jahr der Sorpesee im Sauerland. Neun Mit- bis Endzwanziger, die sich im Studium in Köln kennengelernt haben – und jetzt zum zweiten Mal gemeinsam verreisen wollten. Diesmal also acht Tage Sommerurlaub im Rentnerparadies. Ein bisschen ist die Pandemie dafür verantwortlich. Ein bisschen aber auch die Tatsache, dass wir uns mal wieder zu spät um Ferienhäuser bemüht haben.

Wenn man nichts erwartet, ist irgendwie alles aufregender: Barfußwanderweg, Staumauer, Freibad, Mantaplatte (Currywurst mit Pommes) an der Uferstraße, Touren mit der ›Challenger‹, unserem Schlauchboot. Wir haben im Wäschekeller getanzt und in der Hängematte ausgenüchtert, mit Blick auf den See. Am Nachmittag wurde das erste Veltins geöffnet und kurz vor Ladenschluss noch schnell ein Kasten im Frischmarkt um die Ecke geholt. Karten spielen, noch eine Mantaplatte, noch einmal Schlauchboot. Das Leben war gut am Sorpesee.

Mal sehen, wann wir das nächste Mal so zusammenkommen werden. Spätestens im kommenden Jahr werden auch die Letzten anfangen, Vollzeit zu arbeiten. Zwei leben schon länger nicht mehr in Köln. Vielleicht war es deshalb so schön. Denke ich jetzt, vier Monate später, an diese Augusttage zurück, dann erinnere ich mich vor allem daran, wie viel ich gelacht habe. Und wie zufrieden ich war in diesem Coronasommer am Sorpesee, in dem alles so aufregend unaufgeregt war.«

Franca Quecke, Redakteurin im Ressort Job und Karriere

Lago Maggiore: Überwältigt von Palmen vor Seekulisse

Ein Campingbus muss her! Wer braucht Flugreisen und Hotelswimmingpools, wenn ab sofort jeder Urlaub, vielleicht sogar jedes Wochenende in der Natur vor der Münchner Haustür verbracht werden kann?

Freunde hatten uns geraten, testweise einen VW-Bus zu mieten, bevor wir einen anschaffen. Mit Glück konnten wir für die erste Maiwoche noch einen Leih-California ergattern. Allerdings waren coronabedingt die Campingplätze in Bayern, Österreich, Südtirol und am Gardasee zu der Zeit noch geschlossen. Nur die in der Schweiz hatten offen.

Die erste Überraschung: Von München nach Locarno am Lago Maggiore gelangt man laut Karten-App in weniger als vier Stunden. Die zweite Überraschung: Unser Nachbarland ist ein Camping-Paradies. Wir wussten wohl, dass es in der Schweiz beeindruckende Berge gibt, wären aber ohne die Coronapandemie trotzdem nicht hingefahren. Die andere Währung, die gesalzenen Preise, die neureichen Rolexträger – seltsamerweise war mein Kopf randvoll mit Schweiz-Klischees, von denen sich zumindest in Locarno kein einziges bestätigen sollte.

Wir waren überwältigt von Palmen vor Seekulisse und schneebedeckten Bergen, von Passstraßen neben schroffen Felswänden, von der Backwarenabteilung im Migros, den edlen Granitkacheln im Spülraum auf dem Campingplatz in Tenero, dem Ovomaltine-Eis am Seekiosk, den liebevoll gepflegten Minigolfanlagen und den netten Schweizern, deren Lieblingsadjektiv »mega« zu sein scheint. Vollkommen zu Recht.

Die Woche Campingurlaub war so mega, dass wir in den Winterferien gleich wieder in die Schweiz aufbrechen wollen. Dann nach Davos. Ins Hotel. Die Camping-Erfahrung war zwar schön, aber eine Reifenpanne auf dem Hinweg hat uns vor Augen geführt, dass wir nicht die handwerklich begabten Selfmade-Urlauber sind, die wir vielleicht gern wären.

Anna Clauß, Leiterin Meinung und Debatte

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