Friseur Shan Rahimkhan über Geflüchtete aus der Ukraine und seine neuen genderneutralen Preise - WELT

2022-07-16 01:10:49 By : Ms. Cherry Lee

Shan Rahimkhan kommt im E-Auto zu unserem Gespräch. Wir treffen den iranisch-österreichischen Starfriseur in seinem Restaurant „Shan‘s Kitchen“ am Gendarmenmarkt in Berlin, direkt neben einem seiner zwei Friseursalons (der andere befindet sich am Kurfürstendamm). Rahimkhan, der auch Unternehmer und Gastronom ist, setzt seit Januar auf genderneutrale Preise: Männer und Frauen zahlen in seinen Salons das Gleiche, nämlich 80 bis 120 Euro pro Stunde, je nach Aufwand. Damit ist Rahimkhan eine der wenigen Ausnahmen unter den Friseuren in Deutschland, die allermeisten berechnen Frauen nach wie vor höhere Preise.

Doch nicht nur darüber hat der 49-Jährige einiges zu erzählen. Aktuell beschäftigt ihn der Krieg in der Ukraine, denn auch Rahimkhan musste einst eines Krieges wegen aus seiner Heimat, dem Iran, fliehen. Hier erzählt er davon – und berichtet, welche Erfahrungen er aktuell mit Kunden aus der Ukraine macht.

ICONIST: Funktionieren die genderneutralen Preise?

Shan Rahimkhan: Ja, sehr gut. Natürlich haben wir einen kleinen Shitstorm im Internet, besonders von Männern, bekommen. Aber Genderneutralität muss Sinn ergeben. Und letztlich sind wir Handwerker, auch wenn einige meiner Kollegen sich als Künstler sehen. Wenn Sie einen Tischler beauftragen, fragt er doch auch nicht: „Sind Sie ein Männer- oder Frauenhaushalt?“ Und ändert je nach ihrer Antwort seine Preise. Ich benötige für einen Männerhaarschnitt genauso viel Arbeitszeit wie für einen Frauenhaarschnitt, denn auch bei ihnen schneiden wir mit Kamm und Schere, das braucht Zeit. Und wieso sollten Männer weniger für denselben Aufwand zahlen als Frauen?

ICONIST: Wie ist das Feedback der Kunden auf die gleichen Preise für Männer und Frauen?

Rahimkhan: Sehr gut, eigentlich befürworten alle genderneutrales Pricing. Alles andere ist auch einfach nicht mehr zeitgemäß. Warum sollen Frauen mehr bezahlen? Damenrasierer sind beispielsweise auch viel teurer. Nur wegen der Farbe? Das ist doch ungerecht.

ICONIST: Welche ganz praktischen Fragen beschäftigen Sie im aktuellen Betrieb?

Rahimkhan: Momentan wird alles, inklusive der Energie- und Rohstoffpreise, teurer, und darüber muss auch ich mir Gedanken machen. Werden sich in der Zukunft Frauen weiterhin alle drei Wochen ihre Haare färben lassen können? Oder muss ich mir eine Farbtechnik einfallen lassen, die es erlaubt, dass sie nur noch alle drei Monate zum Haarefärben kommen?

ICONIST: Was wünscht Ihre Kundschaft im Jahr 2022?

Rahimkhan: Gerade wollen die Leute ein wenig schriller sein, jetzt nach zwei Jahren Pandemie und dann mitten im Krieg, möchten sie ausbrechen. Sie wollen etwas Neues und Verrücktes ausprobieren.

ICONIST: Hat der Krieg in der Ukraine Sie an Ihre eigene Geschichte erinnert? Sie sind als Teenager aus dem Iran geflohen, zur Zeit des Ersten Golfkrieges zwischen Irak und Iran.

Rahimkhan: Auf jeden Fall. Auch im Iran mussten wir uns im Keller verstecken. Jeden Tag. Mit einer kleinen Tasche mit Pass und ein bisschen Bargeld und sonst nichts. Fast täglich gab es Raketenangriffe auf Teheran. Natürlich erinnere ich mich nicht gerne daran. Man darf sich aber nicht unterkriegen lassen. Wir hatten mehr schöne Momente als schreckliche.

ICONIST: Erinnern Sie sich an die Umstände der Flucht?

Rahimkhan: Ich bin noch vor meinem 13. Geburtstag aus dem Iran geflohen. Es herrschte Krieg, Jungen und Männer ab 15 durften das Land nicht mehr verlassen, damit sie mit 18 Jahren in den Krieg eingezogen werden können. Wir haben unsere Flucht so weit es ging geheim gehalten. Kurz vorher fand noch eine Feier statt, bei der wir uns von unseren Verwandten und Freunden verabschieden konnten. Ziel waren zwar für meine Geschwister, meine Eltern und mich die USA. Ich bin aber in Wien bei meinem Onkel gelandet. Nachdem ich meinen österreichischen Pass bekommen habe, bin ich in die USA ausgereist und habe dort eineinhalb Jahre gearbeitet. Aber ich bin froh, dass ich letztendlich in Berlin gelandet bin. Europa und die europäische Mentalität liegen mir viel mehr.

ICONIST: Was schätzen Sie an Europa?

Rahimkhan: Europa ist wahnsinnig vielfältig. Ein Spanier hat grundsätzlich einen anderen Charakter als ein Italiener, ein Pole wiederum ist ganz anders als der Österreicher, und trotzdem stehen sie sich nah. Ich mag auch die europäische Mode. Wenn ich es ganz dramatisch darstellen soll: Dann steht Ed Sheeran für mich für Europa und Kim Kardashian für die USA.

ICONIST: Meinen Sie, dass Europa eher für das Authentische, Schnörkellose steht?

Rahimkhan: Ja, in Europa geht es in der Fashion- und Beautyszene viel mehr um die Qualität als in den USA – und nicht um die große Show. In Deutschland wird das Handwerk an sich auch viel intensiver gelernt. Um Friseur zu werden, geht man drei Jahre zur Schule. Das ist in den USA nicht so. Dort nimmt man an einem dreimonatigen Kurs teil und kann sich dann Friseur nennen. Es gibt in den USA auch keinen Meisterbrief. Dort beweist man sich durch Glamour und Show, in Deutschland musst du dein Handwerk beherrschen. Plakativ gesagt: Bling-Bling in den USA versus Qualität in Europa.

ICONIST: Heute sind Sie einer der bekanntesten Friseure des Landes, sie kümmern sich um die Haare vieler prominenter Menschen, sind außerdem Gastronom und führen ein Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern. Schafft man es in Deutschland durch harte Arbeit?

Rahimkhan: Man schafft es fast überall durch harte Arbeit erfolgreich zu werden. Aber man muss für sich selbst definieren: Was ist Erfolg? Hartes Arbeiten ist für mich etwas Wunderschönes, es macht das Leben sinnvoller. Sich einfach nur vor sich hintreiben zu lassen, ist für mich nicht erstrebenswert. Man sollte Ziele haben. Und klar, Glück gehört auch dazu und man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Aber das Glück kommt auch natürlich, wenn man es lange genug herausfordert.

ICONIST: Eine iranische Geflüchtete in Deutschland sagte mir einmal: „Für iranische Eltern kannst du nur drei Dinge werden: Arzt, Ingenieur oder eine große Enttäuschung.“ Wie haben Ihre Eltern auf den Berufswunsch Friseur reagiert?

Rahimkhan: Meine Mutter ist Lehrerin, mein Vater ist Ingenieur. Aus mir sollte mindestens ein Akademiker werden, zum Beispiel Arzt. Das gehört zur iranischen Mentalität, wenn es um die Berufswahl geht. Aber auch diese Erwartungen und Schwierigkeiten haben mich in meiner Karriere weitergebracht. (lacht)

ICONIST: Wenn Sie heute zurückzublicken, kommt Ihnen Ihre Zeit als Geflüchteter manchmal surreal vor?

Rahimkhan: Nein, überhaupt nicht. Ich schaue mit Freude auf meine Vergangenheit. Ich finde, man sollte das aktuell herrschende Bild von Geflüchteten berichtigen. Das Problem ist, dass wir seit Jahrzehnten gelernt haben, dass alle Geflüchteten aus Hungersnot auf Schlauchbooten aus Afrika oder Syrien kommen. Was wir aber heute mit den Geflüchteten aus der Ukraine erleben, ist eine andere Situation. Ich habe Kunden aus der Ukraine in meinem Salon, die bei uns ein paar Hundert Euro für Strähnen oder Schnitt zahlen. Geflüchteter bedeutet nicht immer, dass man aus einer dramatisch schlechten wirtschaftlichen Lage kommt. Wenn es einen Bombenhagel gibt, dann regnet es überall und überall entsteht Leid. Die Kriegsflüchtlinge aus dem Iran sind beispielsweise größtenteils aus der gehobenen Mittelschicht. Diejenigen, die mit mir geflohen sind, sind heute Ärzte oder haben andere hohe Positionen.

ICONIST: Was erleben Sie in Ihrem Salon mit Kunden und Kundinnen aus der Ukraine?

Rahimkhan: Ich habe fast jeden Tag ukrainische Kundinnen, die als Flüchtende hier leben. Sie unterscheiden sich, was ihre Standards angeht, nicht von den Leuten aus Grunewald oder Dahlem. Ich hatte gestern ein Fotoshooting mit zwei ukrainischen Models, die nach Berlin geflüchtet sind. Sie freuen sich alle darüber, dass ich nicht ständig ihr Leid thematisiere. Sie sagen: „Wir wollen uns auch über normale Themen unterhalten, wir wollen nicht immer von unserem Leid berichten, weil wir teilweise das Gefühl haben, dass Menschen auch an unserem Leid Gefallen finden.“ Das ist, als würde man jemanden hinter eine Vitrine stellen und ihn immer bemitleiden.

ICONIST: Von welchen Schönheitsidealen sind Sie geprägt? Von den iranischen, von den deutschen?

Rahimkhan: Von den französischen! Frankreich spielt im Iran eine große Rolle. Viele Wörter stammen aus dem Französischen. Der Iran hat ein französisches Schulsystem und auch der Schah war französisch geprägt.

ICONIST: Seine Witwe Farah Diba lebt im Pariser Exil.

Rahimkhan: Richtig. Ich mochte schon immer französische Kunst. Weil Franzosen eine ganz andere Leichtigkeit haben. Und ich war schon immer ein großer Fan französischer Mode und Designern wie Yves Saint Laurent und Coco Chanel. Ich mag dieses Einfache, das Leichte und die extrem gute Qualität. Yves Saint Laurent war immer mein Vorbild. Ich mag auch die französische Sprache, das Essen und die Kultur – auch die marchés. Das hat wahrscheinlich seinen Ursprung im Orient, inspiriert von den orientalischen Basaren. Die Franzosen haben einen großen kulturellen Einfluss auf den Nahen Osten. Das sieht man beispielsweise in Marrakesch.

ICONIST: Was bedeutet Schönheit für Sie?

Rahimkhan: In meinem Salon sage ich meinen Mitarbeitern immer: Wir wollen uns keinem Modediktat unterwerfen, sondern tatsächlich Mode kreieren. Wir möchten die kreative Zukunft sein. Dafür müssen wir auch die Schönheit demokratisieren und sagen: Alles kann schön sein, man muss die Schönheit nur finden, herauskitzeln und hervorheben. Das geht nur, wenn man experimentiert.

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