Die Kneipe - gelebte Alltagskultur. - Blog der Republik

2021-11-16 21:59:12 By : Mr. Andy Zhang

Während des langen Lockdowns haben viele schmerzlich erfahren, was es bedeutet, wenn plötzlich ein Treffpunkt und ein kommunikatives Zentrum wie die Kneipe fehlen. Es fehlt einfach an Alltagskultur.

Unsere Kneipe Basil's kennen wir seit unserem Umzug von der Kölner Südstadt nach Nippes 1989. Während wir sie anfangs nur sporadisch besuchten, gehen wir seit einiger Zeit relativ regelmäßig ins Basil's. Hier trifft man immer Leute zum Reden. Einige der älteren Stammgäste kennen wir noch von früher; aber viele jüngere haben sich ihnen angeschlossen, so dass die Kneipe auch bei ihnen einen gewissen kultstatus hat. Das Positive ist: Alt und Jung kommen miteinander ins Gespräch.

Zu den Stammgästen zählt Sabine, die man hier fast täglich trifft. Nach der Trennung von ihrem Mann lebt sie allein und ist eine Art Frontfrau; Sie organisiert die Wettgruppen für EM und WM und zusammen mit Pitt den kleinen Basilianer Karnevalsverein.

Dann ist da noch der Ford-Arbeiter Peter, der auch jeden Tag nach der Schicht am Fließband vorbeischaut. Auch er lebt allein. Von ihm bekomme ich das Neueste vom FC, aber auch das eine oder andere aus der Produktion bei Ford. Im Moment läuft es schlecht und er fragt sich, ob er sich 'ertragen' kann. Er spricht hauptsächlich über seine türkischen Kollegen. Zusammen bilden sie eine eingeschworene Gemeinschaft und kein Vorgesetzter kann auf der Nase herumtanzen. Er ist ein guter Erzähler und es macht Spaß, seinen Geschichten zuzuhören, die er immer in der breiten kölschen Mundart erzählt.

Ich erinnere mich gerne an einige der Gespräche, die ich im Laufe der Jahre geführt habe. Einige Beispiele:

Sprechen Sie mit Frank Hocker, dem Gitarristen und Partner des Sängers Gerd Köster. Ich spreche mit ihm auf einer CD, die Sie zusammen mit dem Dichter Robert Gernhardt produziert haben. Er ist erstaunt, weil es so lang war; Ich hatte davon im Kölner Stadtanzeiger gelesen. Wir sprechen über Robert Gernhardt und seine Gabe, den Dingen eine gewisse Leichtigkeit zu verleihen. Eine Mischung aus Loriot und Heinrich Heine.

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Treffen Sie den Fotokünstler: Rob Herff. Er machte ein neues Fotoalbum; einige der werke hängen in der bar an den wänden. Besonders gut gefällt uns eine Mondlandschaft, die zur Hälfte von der Sonne beleuchtet wird. Wir kaufen das Bild. Die Grundfarben sind grau-bräunlich und bei der Gelegenheit erfahren wir, dass die Farbe „reines Grau“ eigentlich gar nicht existiert; es gibt immer mehr Farben - rötliche; bläuliche und bräunliche Töne untergemischt. Wieder etwas gelernt.

Dann sprechen wir über ein Filmportrait über Joseph Beuys. Rob schätzt Beuys über alles und hält ihn für einen der größten Künstler unserer Zeit. Er spricht von seinem sozialen und politischen Engagement; seine Auffassung von Demokratie, die zum Beispiel darin gipfelte, dass er glaubte, jeder sei ein Künstler. Ich kann sagen, dass mir seine Engagements sehr gefallen haben, besonders wenn man sie aus den späten 1960er Jahren versteht. Ich würde jedoch seiner Aussage widersprechen, dass jeder ein Künstler ist. Wenn ja, hinterfrage die Kunst selbst. Kunst hat mit Können zu tun, und wenn sie keine besondere künstlerische Kompetenz mehr erfordert, wird Kunst beliebig. Dann ist alles Kunst, was ihr erklärt wird. Über die Bedeutung von Beuys werden wir noch lange diskutieren. Rob lässt sich nicht von seinen Beuys nehmen; er muss auch nicht.

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Erleben Sie eine musikalische Darbietung bei Basil's: ein (ausgezeichneter) Gitarrist und Sänger spielt Blues- und Popmusik; unterstützt von unserem Nachbar Jens, der Saxophon spielt. Auf eine sehr einnehmende Art: fast anhänglich, definitiv zurückhaltend und sehr einfühlsam. Schließlich kann man das Instrument ganz anders spielen. Wir hören ihn oft im Haus üben; er wohnt in unserer ehemaligen Wohnung.

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Sprechen Sie mit Valentin, einem Schauspielstudenten, über meinen Text Memory and Language. Er hat sich dafür interessiert und kommt von selbst auf mich zu, wenn er seine Arbeit hinter der Theke beendet. Wir sprechen davon, dass Erinnerung immer nach dem aktuellen Selbstbild konstruiert wird, das man von sich selbst hat. Und dann schildert er, wie ihm sein Vater immer wieder neue, manchmal widersprüchliche Schilderungen seiner Zeit in Rumänien lieferte: Einmal war er im Widerstand; dann wieder Teil des Systems. Darüber will er ein Theaterstück schreiben.

Es ist immer beschäftigt, wenn der FC spielt; ob in der zweiten oder ersten Liga. Es sind rund 100 bis 150 Leute drinnen und draußen versammelt und es ist viel los, so dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Im Vergleich dazu kann man die BVB-Spiele in Ruhe genießen, obwohl die BVB-Fans die zweitgrößte Anhängerschaft bilden. Sie lächeln derzeit mitleidig über die beiden Schalke-Loyalisten, die ihren Talisman immer demonstrativ auf den Tresen legen; ein Teddybär in Blau und Weiß. Es hat ihnen im vergangenen Jahr nichts genützt. Aber was soll ich sagen: Auch ich tue mich derzeit schwer mit Werder. Absolute Minderheit unter den Fans. (Mein Beitrag im Blog der Republik über Werder war sogar mit einem grün-weiß verzierten Gartenzwerg ausgestattet!)

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Sprich mit Adrian, einem Studenten. Eigentlich geht er schon. Dann beginnen wir ein Gespräch und unterhalten uns etwa eine Stunde lang über seine Situation. Ich bin immer wieder erstaunt, wie diese jungen Leute ihren Alltag meistern. Sie sind ständig in Bewegung; studieren noch und haben nebenbei mehrere Jobs. A. arbeitet in einer sozialen Einrichtung, auch mit behinderten Kindern. Etwa ein halbes Dutzend dieser jungen Leute arbeitet bei Basil, und sie finden hier einen Weg, sich ein zusätzliches Einkommen zu verdienen.

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Gespräch mit Christoph, der für den Kölner Stadtanzeiger arbeitet. Ich erzähle ihm, dass ich Mitte der 80er Jahre eine Studie zur Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung bei der KStA gemacht und viele Gespräche mit dem damaligen Betriebsrat geführt habe – vor allem mit der Vorsitzenden Julia und ihren Stellvertretern. Er erzählt, wie Julia dem großen Alfred DuMont die Stirn geboten hat und welche große Unterstützung sie von der Belegschaft hatte.  

Petra berichtet von ihrer Zeit als Sekretärin auf Zeit beim Stadtanzeiger und dass sie in dieser Zeit und danach im Frauenausschuss der IG Druck und Papier tätig war. So führt eins zum anderen. Ich erinnere mich, dass ich einige Schulungsseminare mit Druckern und Schriftsetzern gemacht habe und wie belesen viele von ihnen waren. Christoph glaubt, das lag daran, dass die Leute etwas mit den heiligen Schriften zu tun hatten. Als er vor über 20 Jahren beim Stadtanzeiger anfing, gab es noch Handdruck; danach Offsetdruck und heute werden die meisten Texte direkt von der Redaktion am Computer eingegeben. Dadurch fielen viele Produktionsprozesse weg, beispielsweise der Druck selbst, der Satz, das Korrekturlesen usw. Julia hat es geschafft, dass die Menschen, deren Arbeitsplatz verloren ging, saftige Abfindungen erhielten.

Christoph bietet an, uns das Unternehmen zu zeigen. Das wäre insofern interessant, als wir die alte Firma noch aus der Breiten Straße kannten.

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Von dem bildenden Künstler Jochen S. erwarb er eine Straßenansicht der Neusser Straße. Bei dieser Gelegenheit zeigt er uns seine beachtliche Bildersammlung. Interessant: Er verbindet alte Kölner Stadtbilder mit neuen Ansichten. Daraus ergibt sich eine äußerst beeindruckende Konstellation. Das Bild nehmen wir mit in unsere Ferienwohnung in Wilhelmshaven, damit immer ein Stück Köln um uns herum ist.

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Ich habe ein anderes interessantes Paar bei Basil getroffen. Mit Volker, der im Film arbeitet, hatte ich schon einmal gesprochen. Anfang der 70er Jahre haben wir bei denselben Leuten in Marburg studiert, wenig später. Christel ist freie Literaturkritikerin für WDR und Deutschlandfunk und arbeitet für Denis Scheck. Sie hat unter anderem mehrmals Dieter Wellershoff interviewt, über den wir drei Bücher geschrieben haben. Zuletzt interviewte sie ihn kurz vor seinem 90. Geburtstag. Es gibt also viele Anlaufstellen. Erfreulich: Sie ist keine typische Medienfrau, sondern eine sympathische, unprätentiöse Frau, die aus einer Handwerkerfamilie aus dem Ruhrgebiet stammt.

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Eine zufällige Runde. Diesmal gibt es einen Mechanikermeister, der in Raderthal eine Werkstatt betreibt, aber immer wieder zu Nippes bei Basil kommt, weil er früher in der Nähe wohnte und arbeitete. Ich habe ihn hier oft gesehen, aber ich habe nie mit ihm gesprochen, weil er normalerweise Kollegen bei sich hat. Später kommt ein Willy dazu, der seit dreißig Jahren in der Jazzkneipe Streckstockumpf in der Altstadt spielt. Heute tritt er meist nur noch auf Partys und kleineren Events auf. Natürlich sprechen wir darüber, wie wichtig die Jazzmusik für uns in den 1950er Jahren war. Aber wir reden auch über den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Köln, die Verkehrspolitik und lokale Probleme. Es gibt jetzt viele davon. Ich bin immer wieder erstaunt, wie kompetent diese Leute urteilen und wie pragmatisch sie sind. Was sind dagegen viele Politiker, die Sie gerade im Wahlkampfmodus wiedergesehen haben? Sie reden über alles und verstehen selten die Dinge, über die sie sprechen.

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Sprechen Sie mit Anke, einer angehenden Lehrerin. Sie hat Evangelische Theologie in Marburg studiert und macht derzeit ein Referendariat. Wir diskutieren die Rolle der Kirche. Sie findet es richtig, dass ich zwischen der Kirche als Institution und dem Glauben oder der Religion unterscheide; Sie teilt auch meine Kritik, insbesondere an der katholischen Amtskirche mit ihren autoritären Strukturen und ihren (menschengemachten) Dogmen. Dennoch gibt es Bedenken, ob eine Religion ohne eine feste Institution wie die Kirche als Bezugspunkt auf Dauer überleben würde.

Sie sagte später, sie unterrichte derzeit den Expressionisten Ernst Wilhelm Lotz, den ich vorher noch nicht kannte. Sie mag die direkte, unverblümte Sprache dieses Dichters, den weitgehenden Verzicht auf übertriebene Symbolik und die manchmal riskanten, weil verrückten Wortspiele. In dem Gedicht Cloud Overflagged heißt es zum Beispiel: Ich warf dem Chef seine Notizbücher an den Kopf / Und stürmte mit einem wütenden Lachen aus der Tür -

Anke lässt ihren Schülern im Unterricht viel Raum, um ihre Fantasie anzuregen. Sie bittet sie, ihre eigenen Erfahrungen aufzuschreiben, analog zu einem Gedicht von Lotz; Es ist schon erstaunlich, was die Studenten produzieren, sagt sie. Anke ist eine gute Lehrerin; So einen hätte man sich gewünscht.

Ging zu einem Benefizkonzert bei Basil. Es wurde von Marlene organisiert, der Schauspielerin, die auch hier dient. Das Konzert wurde zugunsten der Flüchtlinge aus Calais abgehalten, die dort unter schlimmsten Bedingungen in einem Lager leben.

Junge Musiker stellen ihr Können kostenlos zur Verfügung; es ist anspruchsvolle, künstlerisch dargebotene Musik. Tom organisiert die Elektronik und gibt zum Schluss noch ein paar französische Chansons. Marlene kümmert sich um Speis und Trank, zwei der Musiker informieren über die Situation in Calais. Glücklicherweise ist das Konzert sehr gut besucht; viele junge Leute, die keine Stammkunden sind, sind gekommen.

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Schicken Sie Rob, den ich von Basil kenne, meinen Text über Beamte und ihre Haltung; Zum Beispiel ihr Verhalten bei der Terminvereinbarung während eines Meetings. Jeder flirtet mit seiner Unentbehrlichkeit und der ganze Prozess dauert in der Regel länger als der eigentliche Zweck der Veranstaltung. Wir haben letztes Mal über diese Art gesprochen. Er schreibt wie folgt zurück:

Dein 'Funktionär' ist 'erfahren gesättigt' (wunderbares Wort, kannst du das gebrauchen?) und universell zugleich. Sie beschreiben einen Archetyp und seinen Ritualkosmos. Mein Name dafür: 'Flanellaffe' oder 'Silberrücken'. Als ich das erste Mal mit dieser Lebensform in Kontakt kam, das ist vielleicht gut 35 Jahre her, konnte ich es buchstäblich nicht glauben.

Außerhalb des normalen Weges: Anzug. Krawatte, jovial, freizügiges Getue, Mo - Fr Treffen nach Treffen und eine Packung Marlboro, am Wochenende eine 'Männer'-Party von Herbert Grönemeyer. Inside: Du konntest dir nicht sicher sein, ob das Knochen waren oder was dich hielt – ein Typ ohne Qualität.

„Wie wird man so? oder 'Wie kannst du so leben?'

Die Mittelmäßigkeit hat Angst, dass ihre Mittelmäßigkeit (und Faulheit) bemerkt wird. Sie können nichts tun und sie wissen es. Neben der Pflege des Scheins der eigenen Unersetzlichkeit. Es spielt auch den Apparatschiks in die Hände, dass die deutsche Gesellschaft das Mittelmaß liebt, weil es sich vertraut und sicher anfühlt. Wer die eigene Mittelmäßigkeit als Schild vor sich her trägt, bekommt hierzulande deutlich mehr Beifall als jemand, der eigene, womöglich kühne Ideen entwickelt. 

Deshalb hatten wir Herrn Kohl 16 Jahre lang und werden das wohl auch mit Frau Merkel bekommen.

Ja, und dann wären wir bei der SPD. Die einst stolze Arbeiterbewegungspartei wird seit Jahrzehnten von Beamten und anderen mittelmäßigen Betonköpfen dominiert. 

Sie bringen die alte Tante in eine stabile Seitenlage – denn aus ihrer Sicht fühlt es sich vertraut und sicher an. Ich kenne diesen gemischten Poke aus eigener Erfahrung. Am Ende gab es eine „Immunreaktion“, ungefähr so, als würde der Körper fremde Einzeller bekämpfen – so viel ist klar: Wir passen nicht zusammen.

Dann habe ich wirklich zufällig den SPD-Parteitag gesehen und mir verwundert die Augen gerieben: Da stand jemand am Schreibtisch und zitierte aus dem Film 'Herr der Ringe'. Wer hätte gedacht, dass in einer Zwergenrebellion so viel Fantasie steckt? Wer hätte gedacht, dass er dafür keine Bosheit oder Spott bekommt?

Und wie konnte das dem Silberrücken entgehen? Bricht etwas auf? 

Frage um Frage. Das klären wir bald.

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Valentin hat meinen Text zu The Writer's Experience of Reality auf dem Blog der Republik gelesen, der gerade erschienen ist. Er nutzte die Gelegenheit, um mir einen Reclam-Band von Odo Marquard zu zeigen, im neuen Layout, gestaltet von Friedrich Forssmann, der kürzlich einen Vortrag in der a Lasko-Bibliothek in Emden hielt, wo Petra und ich kürzlich eine Lesung über Das literarische Werk von Dieter Wellershoff hatte gehalten.

Ich erzähle Valentin, dass ich bei Odo Marquard Philosophie studiert habe und Fachschaftsvertreterin war. Marquard war ein brillanter Formulierungskünstler; allein deshalb ging ich zu seinen Vorlesungen. Ich habe von allem wenig verstanden. Und er hat uns gekonnt eingebunden, die wir damals als rebellische Studenten so ziemlich alles kritisierten. Wir durften an den Kolloquien der Professoren und Assistenten teilnehmen und waren erstaunt, worüber sie so viel diskutierten.

Valentin empfehle ich einen weiteren Reclam-Band von Marquard: Abschied vom Prinzip. Darin findet sich das schöne Zitat zu den 68ern: Nach der materiellen Fütterungswelle der Nachkriegszeit kam ab 1968 die ideologische Fütterungswelle.

Erst nach seinem Tod wurde bekannt, dass er auch ein bedeutender Maler war. In der Universitätsbibliothek Gießen fand kürzlich eine Ausstellung mit seinen Werken statt. Ich wusste nur, dass er gerne Krimis las – am liebsten in der Badewanne.

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Nach langer Zeit treffe ich Wolfgang bei Basil: eine Stunde vor dem Athletico-Spiel gegen den BVB, das 2:0 endet. Wir sprechen über den Aufruf der Gathering Movement, der von Sahra Wagenknecht initiiert wurde, und wir haben den Aufruf nicht unterschrieben. Ausschlaggebend war ihre ablehnende Haltung gegenüber der Bewegung Indivisible; ein breites soziales Bündnis für eine offene Gesellschaft. Im Rahmen dieses breiten Bündnisses für Demokratie, Meinungsfreiheit, Gerechtigkeit und Rechtsstaat hätte man die eigene Position der Linken konkretisieren können. Strenge Ablehnung hat etwas Sektisches, und man fragt sich unwillkürlich, wo die Linke ihre Unterstützer finden will – wenn nicht in einem so breiten Bündnis wie Indivisible.

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Machen Sie am Abend einen Spaziergang durch das Veedel; Andy, unser ehemaliger Fischverkäufer, arbeitet bei Alt Neppes. Er sagt, dass er eine Ausbildung zum Metallbauer macht und nebenbei beruflich tätig ist. Er sieht ziemlich solide aus. Als er vor zwei Jahren seinen Job verlor, befürchteten wir, dass er abdriftet.

Dann schauen wir bei Basil vorbei, wo ich mit einer Freundin von Sabine spreche. Beim Fußball ist das natürlich immer möglich. Er ist Frankfurt-Fan, und die Rede ist von der Blütezeit der Eintracht, als dort Spieler wie Grabowski, Hölzenbein, Nickel und andere spielten. Wir haben beide den 6:0-Sieg der Eintracht gegen Bayern München gesehen; Bayern spielte mit allen Größen; Also Beckenbauer, Maier, Müller usw.

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Wir gehen zu einer Kabarettshow. Stefan Reusch gibt seinen satirischen Jahresrückblick. Wir verfolgen seinen Weg seit rund 20 Jahren. Wir haben ihn damals persönlich kennengelernt. Auf die Frage, was er mache, antwortete er: Unsinn. Seine Anfänge als Kabarettist waren schwierig: Wir besuchten einige kleinere Veranstaltungen: danach wurde der Hut immer herumgereicht; es gab keine Gebühr. Ich habe ihn bei einem seiner ersten Bücher ein wenig beraten; er bat mich, die politischen Fakten zu überprüfen. 

Mittlerweile hat er sich etabliert und tritt bundesweit auf (zwei Tage zuvor war er in Stuttgart) und hat einen festen Platz bei SWF und WDR. Sein Kabarettprogramm ist ausgereift und abwechslungsreich. Bald wird er im Senftopf, dem Olymp des Kölner Kabaretts, auftreten.

Als ich ihn in der Pause treffe, gratuliere ich ihm zu seinem Erscheinen; Ich würde seine Forschungsarbeit bewundern und wie er es immer schafft, die Leute zum Nachdenken, aber auch zum Lachen zu bringen, indem er Worte und Bedeutungen verdreht. In seiner Bescheidenheit sagt er: Ja, da wird viel herumgeschlurft.

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Schauen Sie sich das Revierderby Schalke gegen Dortmund an. Die Kneipe ist voll. Die Dortmunder Fans sind weit in der Mehrheit. Als Dortmund das verdiente 2:1 schießt, brechen alle Dämme. Menschen springen auf und Barhocker und Stühle fallen um. Sie klatschen und umarmen sich; eine tolle Atmosphäre. Darum geht es bei einem Spiel in der Kneipe.

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Volker sitzt am langen Tresen und liest die SZ. Wir grüßen das neue Jahr und ich setze mich in eine Ecke, von der aus ich den ganzen Laden überblicken kann. Meine Lieblingsposition.

Nach ein paar Minuten kommt er vorbei und erzählt, dass er in Portbou (Spanien) war, dem Ort, an dem Walter Benjamin auf der Flucht vor den Faschisten ums Leben kam. Sie können heute Benjamins Fluchtweg gehen. Dort befindet sich auch ein kleines Denkmal. All diese Eindrücke kommen ihm sehr nahe.

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Spiele seit Jahren gepflegten Skat. Treffen Sie Michael an einem Sonntagnachmittag und spielen Sie etwa zwei Stunden in angenehmer Atmosphäre. Michael ist einer der wenigen Schalke-Fans bei Basil's. Nach dem Skat weist er auf Professor Rainer Mausfeld hin. Ich hatte noch nichts darüber gelesen. Mausfeld ist ein äußerst kritischer Zeitgenosse, der sich Sorgen um die Zukunft der Demokratie macht. Vor allem kritisiert er die Rolle der Medien, die er zu wenig zur Aufklärung beiträgt; im Gegenteil: Ein Großteil der Medienlandschaft ist seiner Meinung nach adaptiert und tanzt nach der Melodie der Herrschenden. Und er kritisiert die Entfunktionalisierung des Parlaments und die Tatsache, dass politische Entscheidungen zunehmend in kleinen Kreisen außerhalb des Parlaments getroffen werden.

Abends zum Fußballgucken bei Basil, wo ich mich mit Frank angeregt unterhalte. Er arbeitet als Baustellenleiter und kennt sich mit Baustellen in der Region bestens aus. Er ist der Meinung, dass die Fehler beim Bau der Großbaustelle der Kölner Oper mit der viel zu kurzen Planungszeit begonnen haben. Und er sieht in Planungsfehlern die Ursache des heutigen Dilemmas. Das ist der typische Fehler von Verwaltungsbeamten, die zwar Beamte, aber keine Experten sind. Sie möchten Planungskosten sparen und Planungsfehler verursachen Mehrfachkosten und Verzögerungen. Das sieht man an der Oper, dem Theater und der U-Bahn. Ein weiterer Grund ist die unzureichende Kommunikation zwischen Planern und Entscheidern und die Verwirrung der Verantwortlichkeiten. Manchmal sind ein Dutzend verschiedener Büros für Bauvorhaben zuständig. Das sind interessante Informationen für einen Außenstehenden wie mich.

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Treffen Sie uns auf ein Kölsch mit Volker bei Basil's. Wir diskutieren über die Musik der 60er und 70er Jahre; welche Bedeutung es für uns als Medium der Abgrenzung zum familiären und sozialen Umfeld, als Widerstand gegen die ältere Generation und als Moment der Befreiung und persönlichen Entwicklung hatte.

Zum ersten Mal seit Wochen wieder bei Basil. Ford-Peter hat akzeptiert. Jetzt machen ihm die Behörden das Leben schwer. Er muss seine Abfindung versteuern; Zudem muss er dem Arbeitsmarkt weiterhin zur Verfügung stehen und sich an zum Teil völlig bedeutungslosen „Maßnahmen“ der Agentur beteiligen. Über all diese Dinge war er vorher nicht informiert worden, nicht einmal der Betriebsrat. Dementsprechend ist er wütend und fühlt sich gemobbt.

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Ein weiterer interessanter Abend. Lutz, der in leitender Position in einem Medienunternehmen arbeitet, erklärt, wie sich der Einsatz von Technik verändert. Seine Generation musste noch programmieren lernen, was bedeutete, dass man auch die technischen Abläufe verstehen musste. Das hätten die jungen Leute von heute nicht mehr gelernt. Sie sind es gewohnt, die benötigten Funktionen einfach aufzurufen. Sie werden mit Hilfe der Algorithmen an sie weitergegeben. Es ist ihnen egal, woher sie kommen. Dadurch können sie selbst die einfachsten Funktionen nicht mehr verstehen. Dies ist ein großes Problem in der Programmierung, wo Kreativität und die Fähigkeit, Problemlösungen zu finden, gefragt sind.

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Dann sprich mit Anke, der Lehrerin. Sie unterrichtet derzeit eine fünfte Klasse und berichtet über die unterschiedlichen Anforderungen, mit denen die Zehnjährigen in die Schule kommen. Sie muss sich nicht nur auf die Kinder einstellen, sondern auch deren soziale Herkunft berücksichtigen; welche Sprachkenntnisse sie mitbringen; In welchem ​​religiösen und kulturellen Umfeld wachsen sie auf usw. Es braucht mehr als pädagogische Fähigkeiten. Und wie schwer es oft ist, mit den Eltern auszukommen. Und dann erzählt sie uns, was sie zum Beispiel während einer Projektwoche mit den Kindern macht. Ihr Ziel ist es, den Kindern nicht nur Wissen zu vermitteln (sie mit Wissen zu füllen, wie sie sagt), sondern aktiv mitzumachen. Also besucht sie mit ihnen ein stillgelegtes Bergwerk, wo sie mit alten Geräten arbeiten dürfen. Und sie geht mit ihnen in fremde Stadtteile, damit die Kinder mehr über ihre Stadt erfahren.

Genießen Sie es, ihr zuzuhören, während die Leute um sie herum auf ihren Handys telefonieren.

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Sehen Sie sich das Champions-League-Spiel zwischen Dortmund und Inter Mailand an. Die Dortmunder spielen endlich so, wie man sie sich wünscht: temporeich und voller Spielideen. Nach einem 0:2-Rückstand zur Pause gewinnt Dortmund dank einer grandiosen zweiten Halbzeit dennoch mit 3:2. Mit Lutz und dem Sänger Mattes feiern wir bis 1.30 Uhr den Dortmunder Sieg Mattes ist ein begnadeter Sänger. Sein Repertoire reicht von Rock- bis zu Kölsch-Liedern und er hat bereits Preise gewonnen.

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Ein Mann spricht zu mir, den ich nur vom Sehen kenne. Er ist Autor und dabei, eine Anthologie herauszugeben. Titel: Ganz allein. Er betont jede der Silben einzeln und weist mich darauf hin, dass es drei verschiedene Aspekte eines komplexen Themas gibt: MotherSoulsAlone bedeutet etwas anderes als Einsamkeit. Wir sprechen über die vielen Facetten der Einsamkeit: Alleinsein; Abgeschiedenheit; Verlassen werden; der Künstler, der Stille sucht; Von Gott verlassen und natürlich zu seinem Mutter-Seele-Allein-Thema. Der Mann hat einige Bücher studiert und herausgegeben, unter anderem über das Heimatverständnis. Bei dieser Gelegenheit hatte er allen Bundestagsabgeordneten Antwortkarten geschickt, von denen 99 tatsächlich antworteten. Er lebt von Hartz IV und versucht verzweifelt, Unterstützer für seine Projekte zu finden. Aber überall stößt er auf Unwissenheit. Er ist keineswegs lärmsüchtig, eher ein wenig weltfremd, aber im guten Sinne; Das heißt: nicht angepasst oder spießig. Ich mag solche Leute.

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Rede lange mit Rolf. Er ist eine Art Universalgenie; ein Lebenskünstler, gebildet und an vielen Dingen interessiert. Er fährt Reisegruppen zu Kulturstätten in ganz Europa. Dementsprechend kennt er sich aus. Aber man kann mit ihm auch über Liverpool sprechen, dessen Spiele er regelmäßig sieht, oder über Rezepte. Und obendrein kann er zuhören und ist im besten Sinne amüsant. Kurzum: Es macht Spaß, mit ihm zu reden.

Senden Sie ihm meinen Text über den Widerstandskämpfer und Auswanderer Heinz Langerhans, von dem ich ihm erzählt habe und bei dem ich studiert habe. Den Text habe ich bei einer Veranstaltung der Kulturen der Welt in Mühlheim gelesen und im Blog der Republik veröffentlicht. Er antwortet prompt:

Es ist wirklich beeindruckend, dass man eine so komplexe und komplizierte „Geschichte“ vor dem Vergessen bewahren kann. Ich war sehr berührt, als ich von dem unglaublichen Ende von Langerhans' Leben hörte. Wie absurd sein Weg hinter Gittern endete – im Dunkeln. 

So viel zu ein paar Episoden aus unserer Bar. Wir hoffen sehr, dass es nicht zu einem weiteren Lockdown kommt und wir wieder auf diesen Treffpunkt verzichten müssen, nur weil einige nicht bereit sind, sich und andere zu schützen. Aber das ist ein anderes Thema.

Schlüsselwörter: Alltag, vom Leben, Corona, Gesellschaft, Kneipe, Kommunikationskultur, Leben, Miteinander

Witz Frerichs, Dr. rer. Pole.; Studium der Politikwissenschaft; Soziologie; Philosophie; Germanistik, lebt als freier Autor in Köln. Er schreibt Romane, Gedichte, Essays und Rezensionen.

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