Interview: Filmstar Veronica Ferres: "Ich wollte eigentlich nie in den Film, das fand ich immer blöd" | Augsburger Allgemeine

2021-12-06 22:20:36 By : Mr. Teddy Teddy

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Exklusiv ist Veronica Ferres auch Produzentin in Hollywood, derzeit am Film "The Unforgivable". Sie spricht über ihre Wurzeln, männlichen Machtmissbrauch und noch offene Projekte.

Frau Ferres, Sie haben viele internationale Projekte realisiert, aber bei „The Unforgivable“ haben Sie mit einem der größten Hollywood-Stars zusammengearbeitet: Oscar-Preisträgerin Sandra Bullock. Wie ist das passiert?

Veronica Ferres: Ich kenne meinen Co-Produzenten Graham King seit mehreren Jahren. Aus der Stunde, die unser erstes Treffen werden sollte, wurden dreieinhalb. An diesem Abend rief mich Graham erneut an, um mir von einigen seiner Projekte zu erzählen, und zu „The Unforgivable“ sagte ich: „Das muss erzählt werden und ich kann dazu beitragen.“ Und so begann unsere Zusammenarbeit.

Es ist Ihnen auch gelungen, Nora Fingscheidt über einen deutschen Regisseur zu gewinnen. War das schwer?

Ferres: Als ich auf der Berlinale „Systemsprenger“ sah, zitterte mein ganzer Körper vor Glück, denn ich wusste: „The Unforgivable“ ist der Film für Nora. Weil es nicht anders ging, trafen wir uns in einem ganz einfachen SB-Café in einem Supermarkt am Hamburger Flughafen und es entwickelte sich eine unglaubliche Energie zwischen uns, die meine Meinung nur bestärkte. Dann schlug ich sie Graham King als Regisseurin vor, der bereit war, sie zu treffen. Dann musste Sandra Bullock überzeugt werden, sich „Systemsprenger“ anzusehen, was sie einzigartig und spannend fand. Mit drei von uns, Graham King, Sandra Bullock und mir, waren wir ein starkes Team. Nora musste dann die Netflix-Geschäftsleitung von ihrer Vision überzeugen, was sie großartig machte, und so kam sie in die Richtung.

Abgesehen davon, dass du zunehmend international produzierst, spielst du auch immer häufiger in englischsprachigen Projekten mit – zuletzt unter anderem mit Morgan Freeman, Juliette Binoche und Anthony Hopkins. Was ist mit Ihren deutschen Schauspielrollen passiert?

Ferres: Sagen wir mal so, ich bekomme interessante deutsche Angebote, aber ich möchte das Recht haben, mich weiterzuentwickeln, wenn ich über 50 bin und bestimmte Rollen nicht mehr spiele. So sehr ich meinen Job und meine Muttersprache liebe, meine Reisen sind derzeit internationaler, weil mir die Leute dort mehr vertrauen. Letztendlich sehe ich mich als Geschichtenerzählerin, also trage ich immer zwei Hüte – den eines Produzenten und den einer Schauspielerin.

Die Bedingungen für weibliche Kreative sind heute wohl besser als zu Ihrer Anfangszeit. Würdest du dir wünschen, du wärst wieder 20 und könntest jetzt von vorne anfangen?

Ferres: Wenn das möglich wäre, sofort. Unsere Generation musste mit der selbstverständlichen Machtausübung über Frauen leben, Schmerzen und Ohnmacht durchmachen. Und das muss die heutige Generation zumindest in diesem Ausmaß nicht mehr erleben. Denn die jungen Frauen von heute wissen, dass sie sich verteidigen können, eine Stimme haben und gehört werden. Mir wurde nicht zugehört.

Wann haben Sie zum Beispiel diese Ohnmacht erlebt?

Ferres: Das will ich nicht verraten, denn morgen haben wir eine riesige Schlagzeile und heute geht es um den Film und nicht um mich. Aber der normale Machtmissbrauch von Männern am Set gegen Frauen, insbesondere gegen Schauspielerinnen und weibliche Teammitglieder, gehörte zum Alltag.

Fühlst du so etwas wie Genugtuung, dass du als Produzentin jetzt Entscheidungen treffen und Frauen eine Chance geben kannst?

Ferres: Ja, aber ich spüre keine Rache. Ich bin anders gemacht. Ich sehe viel Arbeit vor uns und wünsche mir ein Umdenken unter vielen, die noch wie Betonköpfe denken und in Bewegung sind.

Haben diese Betonköpfe heute noch eine Chance?

Ferres: Die Strukturen sind immer noch sehr stark, überall. Man muss sich nur anschauen, wie wenige weibliche Dax-Vorstände es gibt. Wir Frauen müssen noch viel mehr erreichen und viel besser sein als unsere männlichen Kollegen.

Aber wenn man nicht zuhört, wie behält man dann seine Leidenschaft und beißt sich weiter, anstatt zu sagen „Ich habe genug“?

Ferres: Jeder hat diese Phasen in seinem Leben. Aber ich habe meine Familie und Freunde. Sie sind mir unglaublich wichtig. Das ist meine Basis. Ich habe mein Zuhause und meinen Halt in mir. Das kann ich da draußen nicht suchen, dann wäre ich verloren.

Wie nehmen Sie eigentlich die amerikanische Filmindustrie im Vergleich zur deutschen wahr?

Ferres: Film ist dort drüben eine Königsklasse, und es ist hart. Tausende und Abertausende großartiger Kreativer und Macher drängen sich um jede Gelegenheit. Und es braucht viel Glück und Kraft, sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen, sondern wieder aufzustehen.

Bist du auch so hart?

Ferres: Nein, aber ich habe tolle Leute um mich herum, die mich sein und beschützen können. Ich werde auch nicht so hart sein. Als Künstler kann ich das überhaupt nicht. Ich werde immer eine Schwachstelle behalten. Deshalb fällt mir manches schwerer. Ich leide mehr, aber ich habe auch mehr Spaß.

Sie erwähnten, dass das Thema "The Unforgivable" für Sie persönlich sehr bewegend war. Wieso den?

Ferres: Es ist die Geschichte von zwei Schwestern und ich wollte schon immer eine Schwester haben. Als ich sechs oder sieben Jahre alt war und kaum über den Herd schauen konnte, musste ich Kohlen und Kartoffeln aus dem Keller holen. Wir hatten Tagelöhner, die bei uns im Keller wohnten. Abends ging ich mit der schweren Bratpfanne an ihnen vorbei, wenn ich ihnen das Essen bringen musste. Sie haben oft ein Bier zu viel getrunken, und was ich damals erlebt habe - sagen wir, es war wirklich eine Männerwelt. In dieser Einsamkeit habe ich mir oft eine Schwester gewünscht.

Das heißt, unanständige Sprüche kamen von diesen Männern ...

Ferres: Reden wir über etwas anderes.

Statt einer Schwester hattest du zwei Brüder. Hat dich das hart gemacht?

Ferres: Man muss lernen, über hohe Wände zu springen und auch sehr schnell zu laufen. Meine Brüder hatten solche Räuberbanden, dass ich alleine im Wald stehen und pfeifen musste, wenn die anderen kamen. Wenn ich nicht schneller laufen konnte als die Jungs, war ich verloren. Dort lernt man viele gute Fähigkeiten.

Hat Sie diese Erfahrung auch gelehrt, sich beruflich durchzusetzen?

Ferres: Ich kämpfe mich nicht durch. Ich habe auch meine Niederlagen, bin aber fest davon überzeugt, dass die Qualität der Arbeit auf Dauer überzeugt. Und die Arbeit spricht für sich. Daran möchte ich mich messen lassen, egal welche Rückschläge oder Niederlagen Sie haben. Nehmen Sie eine Sandra Bullock, sie macht alles hundertprozentig.

Gibt es Projekte in Ihrem Unternehmen, die Ihnen persönlich genauso wichtig sind?

Ferres: Das sind viele Geschichten über die Stärkung von Frauen. Auch John Malkovichs Projekt mit meiner Tochter fällt in diese Kategorie. Es gibt Rollen, in denen es bisher undenkbar war, dass Frauen sie spielen. Wenn Mädchen und Jungen so etwas sehen, kann dies die Kraft wecken, an ihre Träume zu glauben und sie ermutigen, ihren Instinkten zu vertrauen.

Welche weiblichen Vorbilder hatten Sie in Ihrer Zeit?

Ferres: Natürlich meine Mutter. Sie war ihrer Zeit voraus, denn sie hatte drei Kinder und ging trotzdem wieder arbeiten. Sie wollte auf eigenen Beinen stehen. Ich wurde an einem Donnerstag um 13.30 Uhr geboren, und um 12.30 Uhr war sie noch auf dem Markt und verkaufte Kartoffeln. So hat sie uns erzogen: Arbeit ist keine Schande, Arbeit ist Selbstbestimmung.

Gibt es auch künstlerische Vorbilder?

Ferres: Als ich 13 oder 14 war, habe ich im Tanztheater von Pina Bausch in Wuppertal zugeschaut. Sie wuchs in einer Bierkneipe in Solingen, meiner Heimatstadt, auf und entwickelte all ihre Fantasien, wenn sie mit den Betrunkenen unter dem Tisch saß und hörte, was sie sagten. Meine Liebe zum Theater entstand aus der Arbeit für sie. Deshalb habe ich mit 17 in Köln Theater gespielt und bin dann nach München gegangen, um bei Privatlehrern zu studieren, weil ich an Schauspielschulen nicht angenommen wurde. Ich wollte nie wirklich ins Kino oder Fernsehen gehen, das fand ich immer blöd. Das ergab sich gerade aus „Red Earth“ und „Second Home“.

Mit anderen Worten, Sie hatten nie den Traum von Hollywood?

Ferres: Das hat man nicht, wenn man aus Solingen Mitte kommt. Heute muss ich mich oft kneifen, wenn ich das erlebe - zum Beispiel als ich mit Morgan Freeman arbeiten durfte. Dieser Mann ist so beeindruckend. Übrigens möchte ich noch ein weiteres weibliches Vorbild hinzufügen – meine liebe Freundin Senta Berger. Uns verbindet etwas sehr Tiefes und Besonderes.

Sie haben einmal gesagt, Sie möchten ein Kinderheim und eine Schauspielschule gründen. Was ist damit?

Ferres: Das Kinderheim ist noch in meinem Kopf. Aber ich muss den Kindern gerecht werden und arbeite im Moment zu viel, um eine Konstante zu sein, die Sicherheit gibt. Ich deckte die Schauspielschule mit der Filmschule ab. Vielleicht könnte ich das mit angeschlossenem Kinderheim organisieren. Ernsthaft, das mache ich eigentlich schon mit meiner Firma. Ich bringe junge Talente von der Hochschule mit und gebe ihnen die Möglichkeit, hochwertige Projekte zu schreiben oder zu inszenieren. Auf Filmfestivals sitze ich oft undercover im Publikum, um mir neue Talente anzuschauen. Mir geht es ums Weitergeben, und das ist auch der verbindende Gedanke hinter dem Kinderheim und der Schauspielschule: Andere sollen von meiner Erfahrung profitieren.

Und was geben Ihnen diese jungen Talente zurück?

Ferres: Eine moderne Art, die Welt zu betrachten. Durch sie lerne ich eine moderne Bildsprache und ganz andere Erzählformen. Ich erlebe ihre alltäglichen Probleme, die sich sehr von meinen unterscheiden. Es ist großartig, aufregend und herausfordernd.

Ihre Freundin Senta Berger steht mit 80 Jahren noch immer vor der Kamera. Sehen Sie das eigentlich auch selbst?

Ferres: Wie gesagt, ich sehe mich als Geschichtenerzählerin und das möchte ich bis zum letzten Atemzug tun, egal ob vor oder hinter der Kamera.

Zur Person: Veronika Ferres, 56, studierte an der Max-Reinhard-Schule in Wien zur staatlich geprüften Schauspielerin. 25 Jahre ist es her, dass sie mit „Das Superweib“ nach vielen Theater- und ersten Filmrollen, beispielsweise mit Helmut Dietl und Edgar Reitz, einem großen Publikum bekannt wurde. Seitdem ist sie einer der ganz Großen im Geschäft. Ferres ist in zweiter Ehe mit Carsten Maschmeyer.

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