Zerstörung, Folter, Vergewaltigung – so wüteten die russischen Besatzer bei Charkiw | STERN.de

2022-07-30 10:45:12 By : Ms. Grace Chow

An einem kalten Morgen im März wachte der Bürgermeister des Dorfes Zyrkuny von einem Schuss auf. Der fiel nicht auf der Straße: Die Kugel schlug direkt neben seinem Bett in den Fußboden ein. Das Loch ist immer noch da. Als brauche Bürgermeister Mykola Sikalenko, 63, eine Erinnerung an diese Woche, in der er fest mit seinem Tod gerechnet hatte. Die Kugel hatte ein russischer Soldat abgefeuert, der in seinem Schlafzimmer stand.

Zyrkuny liegt direkt am Stadtrand von Charkiw, in die Innenstadt der zweitgrößten Stadt der Ukraine fuhren die Menschen vor dem Krieg nur 20 Minuten mit dem Auto. Die meisten der 10.000 Dorfbewohner pendelten dorthin zur Arbeit. Zyrkuny war nicht arm vor dem Krieg. Die russischen Besatzer, die bereits in den ersten Kriegstagen Ende Februar auf ihren Panzern in das Dorf rollten, wunderten sich über die großen Häuser, die asphaltierten Wege und die Laternen, die sie in der Nacht beleuchteten. Das behaupten die Dorfbewohner jedenfalls, aber vielleicht ist es auch nur eine Geschichte, die davon erzählt, wie sehr die Ukrainer die russischen Soldaten verachten. Jetzt, im Sommer, duftet die Luft in Zyrkuny in manchen Straßen nach Pinien.

Sikalenko schlägt als Treffpunkt das Wäldchen an der Krankenstation vor, es ist ein ruhiger Sonntag im Juni. Für die Menschen im Dorf bedeutet das, dass die russische Artillerie mehrere Stunden lang eine Pause einlegt. Derzeit geschieht das nicht oft. Der Krieg lässt Zyrkuny nicht los.

Mehr als zwei Monate lang hatten russische Soldaten das Dorf besetzt, erst im Mai befreiten es die ukrainischen Truppen. Jetzt stehen die russischen Panzer nur wenige Kilometer entfernt in benachbarten Dörfern. Fast jeden Tag schlagen Brandbomben ein, abgeschossen von Raketenwerfern. Im Dunkeln sieht es aus, als segelten Sterne auf Zyrkuny herab. "Jeden Tag brennt es irgendwo", sagt Sikalenko. Etwa ein Drittel der Häuser sei zerstört oder beschädigt. Wie viele Menschen in den Bomben starben, weiß er nicht. Manche der Toten liegen noch immer verscharrt in den Höfen.

Sikalenko ist ein ernster Mann, Übertreibungen liegen ihm fern. In Zyrkuny habe es keine besonderen Exzesse während der Besatzung gegeben, sagt er. Damit meint er, dass keine Leichen auf den Straßen lagen wie in Butscha, keine Massengräber gefunden wurden wie in Irpin. Zehn Männer verschwanden, sie wurden abgeführt und sind nun verschollen. Im Dorf suchten die Russen nach ehemaligen ukrainischen Soldaten und deren Angehörigen, nach Polizisten und Grenzschützern. Sogar Mitarbeiter der Verwaltung versteckten sich wochenlang aus Angst. Der Bürgermeister wurde abgeführt, denn er wollte nicht mit den Besatzern kollaborieren. Wer das tat, ist jetzt in der Ukraine in Haft. Mitleid hat Sikalenko nicht mit den Kollaborateuren.

Der Terror im okkupierten Land hat System: Über Dutzende illegaler Foltergefängnisse in den von moskautreuen Separatisten kontrollierten sogenannten Volksrepubliken berichteten Menschenrechtler schon 2014, von Verschwundenen und Misshandelten. Heute werden Kriegsverbrechen überall öffentlich, wo Russlands Truppen abziehen.

In Trostjanez im Gebiet Sumy richteten die Russen Gefängnisse unter der Polizeistation und dem Bahnhof ein, die Wände sind immer noch blutverschmiert. Bei Tschernihiw hielten Soldaten 350 Menschen in einem Schulkeller gefangen, unter ihnen viele Kinder. An die Wände schrieben die Gefangenen die Namen der Toten. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dokumentierte bereits im April 31 Hinrichtungen und sieben Fälle von Folter in Dörfern in der Zentralukraine. Was heute in den besetzten Städten Mariupol und Cherson geschieht, ist kaum bekannt. In den Separatistenrepubliken werden Männer im wehrpflichtigen Alter Berichten zufolge auf der Straße aufgegriffen und an die Front geschickt.

Von Zyrkuny aus sind es bis zur russischen Grenze nur 30 Kilometer, in die ukrainische Hauptstadt Kiew ist es etwa 15-mal so weit. "Die meisten Menschen hier haben sich immer loyal zu Russland verhalten", sagt Bürgermeister Sikalenko. Viele haben Familie oder Freunde in Belgorod jenseits der Grenze, und fast alle sprechen selbstverständlich Russisch. Als Sikalenko vom Einmarsch der russischen Truppen in sein Land hörte, dachte er, das müsse ein Albtraum sein. Es dauerte Tage, bis er es glauben konnte: Ein Krieg mit dem Nachbarn lag jenseits seiner Vorstellungskraft. "Russland hat uns für die nächsten 150 Jahre verloren, mindestens."

Der Soldat, der am frühen Morgen neben seinem Bett stand, trieb den Bürgermeister aus dem Haus in einen Militärwagen. Sikalenko schaffte es gerade noch, sich Mütze, Handschuhe und Jacke anzuziehen. Männer stülpten ihm einen Sack über den Kopf und fuhren ihn zu einem Verschlag.

Eine Woche lang verbrachte er in Kellern, wo genau, weiß er bis heute nicht. Einmal übernachtete er in einer Gefängniszelle. Er weiß, dass es solche Zellen im Gebiet um Charkiw nicht gibt, deshalb ist er sicher, dass man ihn über die Grenze nach Russland gebracht hatte.

Sikalenko litt Hunger, erst am fünften Tag schob ihm ein Soldat einen Eimer mit Graupenbrei durch die Tür, als sei er ein hungriges Tier. Er musste auf Brettern schlafen, konnte es aber nicht, weil es dazu viel zu kalt war. Nickte er doch mal ein, wurde er davon wach, dass jemand mit einem Stock an die Tür schlug. Einmal sah er in seinem Keller einen Sessel und einen Fernseher und begriff, dass er in der dunklen Kammer halluzinierte. Manchmal hatte er keine Ahnung, ob es Tag war oder Nacht.

Vor lauter Stress lösten sich zwei Nierensteine, Sikalenko ertrug den Schmerz. "Ich hätte nicht gedacht, dass mein Organismus das alles übersteht", sagt er. "Ich war mir sicher, dass sie mich erschießen wollen. Ich hoffte darauf, dass es ein Kopfschuss sein wird und ich nicht langsam verbluten muss."

Einmal führten ihn die Soldaten auf die Straße. Wieder warf man ihm einen Sack über den Kopf. Sie schossen in die Luft. Dann sagten sie ihm: "Wir bringen dich jetzt um." Sie taten es nicht.

Er begegnete in einem Keller zwei anderen Gefangenen, Männer aus einem Nachbardorf. Der eine war Vater eines ukrainischen Soldaten und deshalb in Haft. Der andere hatte keine Ahnung, warum die Soldaten ihn verschleppt hatten.

Nach einer Woche wurde Sikalenko zu einem Verhör gebracht. "Offensichtlich dachten sie, dass sie mich gebrochen hatten", sagt der Bürgermeister verbittert. Dabei hatte er sich in der Zwischenzeit mit dem Tod arrangiert. "Machen Sie mit mir, was Sie wollen", erklärte er ihnen. Die Soldaten ließen ihn und die beiden anderen Männer mitten in der Nacht auf einem Feld frei.

Zu Hause stellte er fest, dass die Soldaten ihn nicht nur verschleppt und gequält, sondern auch ausgeraubt hatten. Während seiner Gefangenschaft hatten sie seine Frau mit Waffen bedroht, das Haus durchwühlt, sie nahmen Computer und Telefone mit, klauten den Schmuck seiner Frau, einen Fotoapparat und Uhren. Auch das Auto war nicht mehr da.

Seine Frau würde nun am liebsten fliehen, aber Sikalenko hat sich dagegen entschieden, aus Prinzip, nicht etwa, weil er an Frieden glaubt. "Ich bin nicht besonders optimistisch", sagt er. An den Schusswechseln glaubt er zu hören, dass die Russen wieder näher kommen. Ihm scheint, dass die Einschüsse lauter werden. "Sie wollen uns wieder einnehmen", sagt er.

Vor einem Monat klangen die Nachrichten aus dem Charkiwer Gebiet noch ganz anders: nach einem Sieg der Ukrainer. In der Stadt hatten die Menschen wochenlang in Kellern und U-Bahn-Stationen ausgeharrt, während Bomben und Artilleriegeschosse auf die Stadt niedergingen. Dann drängten die Ukrainer die russischen Truppen zurück. Ende Mai beschloss der Bürgermeister, die U-Bahn wieder fahren zu lassen. Das Schlimmste schien vorbei.

Doch ruhig ist es auch in der Stadt nicht: Vergangene Woche starben bei einem Artillerieangriff fünf Menschen, elf wurden verwundet. Im nahen Donbas gewinnt die russische Armee stetig Gelände. Die Menschen in Charkiw fürchten, die russischen Truppen könnten ihre Angriffe auf ihre Stadt wieder verstärken, sobald sie den ganzen Donbas kontrollieren.

Der Alltag ist selbst dort fern, wo nicht mehr geschossen wird. Wer aus Charkiw hinaus in das Dorf Mala Rohan fährt, sieht auf grünen Wiesen die Überreste der Besatzungszeit. Einen verbrannten Hubschrauber, verkohlte Panzer, Autowracks.

Am Dorfeingang zeigt die Abgeordnete und Unternehmerin Ljubow Slobina, was von ihrem Landwirtschaftsbetrieb übrig geblieben ist. Ein Drittel aller Schafe, Kühe und Schweine verendete während der Schießereien. Einmal hörte sie die Kühe im brennenden Stall schreien und schrie selbst, weil sie das nicht ertragen konnte.

150 Hektar Felder mit Sonnenblumen, Mais und Weizen können in diesem Jahr nicht abgeerntet werden, neulich rollte ein Traktor auf eine Mine. Das Dach des Lagerhauses mit der Ernte vom vergangenen Jahr ist von Einschusslöchern durchsiebt. Slobina kann das Vieh nicht verkaufen, weil niemand mehr Geld hat, schon gar nicht für Fleisch. "Wir wurden in die 90er-Jahre zurückgeworfen!", klagt sie.

Die meisten Dorfbewohner in der Umgebung leben von humanitärer Hilfe. Manche haben nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Die Rentnerin Ljubow Terich aus Biskwitne kann von ihrem Bett aus in den Himmel sehen, seit ein Geschoss das Dach zersplitterte. Nebenan lebt ihr Sohn mit Frau und Enkel Pawel, 5. Am Tag decken sie ihre Betten mit Plastikfolie ab, weil es überall reinregnet. Die Nachbarn haben im Wohnzimmer Regenschirme aufgestellt.

Das Land ist selbst dort verheert, wo es nicht danach aussieht. Jelena Malachowa*, 53, ist erst seit einem Tag wieder zurück in Mala Rohan und hält es kaum aus. Sie ist eine ernste Frau, ihr Gesicht fahl. Die ukrainischen Truppen befreiten das Dorf Ende März, mehr als einen Monat früher als Zyrkuny. "Ich muss nun an der Schule vorbei", sagt Malachowa. "Das ist das Schlimmste."

Malachowa suchte im Frühjahr gemeinsam mit 40 anderen Dorfbewohnern im Schulkeller Zuflucht vor den Bomben. Alle drängten sich in die Umkleidekabinen unter der Turnhalle. Auch ihr 20-jähriger Sohn Jurij, ihre Tochter Olga*, 33, und deren fünfjährige Tochter waren dabei.

In einer Nacht stürmte ein russischer Soldat in den Keller, bewaffnet mit einem Gewehr und einer Pistole. Niemand kann genau sagen, ob er betrunken war oder Drogen genommen hatte. Vielleicht hatte er einen Nervenzusammenbruch. Die Menschen im Keller spürten, dass er nicht zurechnungsfähig war. Sie spürten die Gefahr. Er stellte sich als Wladimir vor. Malachowa glaubt, dass er nicht älter war als 20 Jahre.

Mit dem Gewehr schoss er zuerst in die Decke, die Lampe zersplitterte. Dann zwang er alle auf die Knie. Malachowas Familie hockte am Rand, ihre Tochter trug ihr schlafendes Kind auf dem Arm. Der Soldat wählte zunächst ihren Sohn aus. Aus den zerstörten Kioskbuden der Umgebung sollte er unter vorgehaltenem Gewehr Essen besorgen. Das dauerte länger als eine Stunde, Malachowa wurde in dieser Zeit fast verrückt vor Angst. Als der Soldat und ihr Sohn zurückkehrten, knieten die Menschen im Keller noch immer, vor Angst.

"Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr ich nach Hause will", klagte der Soldat. Daran erinnert sich nicht nur Malachowa, das erzählen auch andere Zeugen. Jemand gab ihm ein Brot, um ihn zu besänftigen, er wollte sich hinlegen, überlegte es sich dann aber anders. Er wählte Olga aus, Malachowas Tochter, und trieb sie mit dem Gewehr aus dem Keller ins Schulgebäude. Ihre schlafende Tochter blieb bei der Oma zurück.

Olga erinnere ihn an eine ehemalige Klassenkameradin, erklärte er ihr laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, die den Fall dokumentierte. Im Klassenzimmer musste sie sich ausziehen. Dann vergewaltigte er sie.

Als die junge Frau nach mehreren Stunden zurückkam, waren die meisten Leute aus dem Keller geflohen. Jelena erinnert sich, dass Olga ein Bündel Haare in der Hand hielt: ihre eigenen. Der Soldat hatte sie abgeschnitten. Im Gesicht und am Nacken klafften Schnittwunden.

Malachowa erzählt, er habe nach der Vergewaltigung versucht, ihre Tochter umzubringen. Er gab ihr Schmerzmittel und versuchte, sie zu erwürgen. Aber das gelang ihm nicht. Mit einem Messer ritzte er in ihrem Gesicht herum. Schließlich ließ er sie laufen.

Panisch beschloss die Familie danach, das Dorf zu verlassen. Sie setzen das Kind auf einen Schlitten und flohen auf Schleichwegen aus Mala Rohan, unter Beschuss, in ständiger Angst, unterwegs russischen Soldaten zu begegnen. Die Nachricht von der Vergewaltigung verbreitete sich in Windeseile in die Nachbardörfer, und sogar von dort versuchten die Frauen verzweifelt zu fliehen.

Malachowas Tochter ist heute in Polen und hat dort eine Therapie begonnen. Die Mutter vermisst sie und macht sich große Sorgen. Sie fragt sich, ob Olga je nach Mala Rohan zurückkehren kann. Olga will das und fürchtet sich zugleich davor. Malachowa hat keine Ahnung, wie es nun weitergehen soll.

Nicht alle Dörfer im Charkiwer Gebiet wurden befreit. Mehr als ein Dutzend werden seit Kriegsbeginn von russischen Truppen kontrolliert. Von Borschtschowa aus beschießen die Truppen die Außenbezirke von Charkiw und die umliegenden Dörfer. Von dort gelang Wadim Nikulin und seiner Frau Natalja Powerennaja die Flucht.

Wenn ihr Sohn Artjom, 14, in die Schule ging, lebte die Familie in Charkiw, aber im Sommer und an den Wochenenden zogen sie auf die Datscha ins Dorf. Nikulin ist Bauunternehmer, das Haus hat er selbst errichtet. Als der Krieg begann und die Familie aus Charkiw fliehen wollte, fiel den Eltern auf, dass ihre Dokumente im Wochenendhaus lagen. Ihrem Sohn sagten sie, er solle schon mal seine Sachen packen, und brachen zur Datscha auf. In ein paar Stunden seien sie wieder da. Doch als sie zurückwollten, hatten russische Panzer schon die Straßen versperrt. Sie saßen fest.

Das Ehepaar aus Charkiw war nicht allein in der Datschensiedlung, insgesamt strandeten dort 15 Menschen. Einer von ihnen war Alexander Sultanow, ein ehemaliger Taxifahrer aus Charkiw. Jewgenij Iwanow, Schenja genannt, arbeitete als Wachmann in der Siedlung. Er bekreuzigte sich oft und wiederholte, das Wichtigste sei, nur irgendwie zu überleben.

Abends schickten sich die Datschen-Bewohner gegenseitig Lebenszeichen per Handy. Anfangs hofften alle auf einen Korridor zurück nach Charkiw, aber den gab es nicht.

Das Ehepaar verzweifelte. Sie beobachteten, wie die Soldaten die Siedlung plünderten. "Morgens brachten sie auf Militärfahrzeugen die Munition für die Raketenwerfer", erzählt Nikulin. "Abends schafften sie alles aus den Datschen weg, was sie tragen konnten."

Nach etwa einem Monat erschienen Soldaten bei einem der Datschen-Bewohner und jagten ihn mit vorgehaltenen Gewehren aus seinem Haus. "Danach war klar, dass wir fliehen mussten", sagt Nikulin. "Wir waren nicht mehr sicher." Sie beschlossen, für die 15 Kilometer nach Hause einen Umweg einzuschlagen: durch das besetzte ukrainische Gebiet über die russische Grenze bis nach St. Petersburg, dann nach Estland und über Lettland, Litauen und Polen zurück nach Hause. "Wir reisten alle zusammen", sagte Nikulin. "Wir hatten uns überlegt, dass es dann nicht so leicht ist, uns alle umzubringen." Geld und Dokumente versteckten sie in den Autos, SIM-Karten schoben sie in die Knopflöcher ihrer Jogginghosen. Nur der Rentner und der Wachmann blieben zurück: Beide hatten keine Dokumente.

"Wir hatten große Angst", sagt Powerennaja. Unterwegs kamen sie an zerschossenen Dörfern und Ruinen vorbei. Sie sahen einen toten Zivilisten am Straßenrand und begriffen, wie wenig ihr eigenes Leben wert war. "Wir hatten das Gefühl, in einem rechtlosen, gesetzlosen Gebiet zu sein."

An der russischen Grenze verhörte ein Soldat Nikulin, dann stellte er ihm einen Passierschein aus. Eine Woche verging, bis sie, von Polen kommend, wieder in die Ukraine einreisten.

Ende Mai floh auch der ehemalige Taxifahrer Sultanow aus der Datschensiedlung. Er watete durch einen Fluss, das Fahrrad auf der Schulter. Als ihn später ukrainische Truppen aufgriffen, glaubten sie kaum, was er geschafft hatte.

In Charkiw kümmert sich der alte Mann nun um seine Wohnung. Sultanow lebt im zerbombten Viertel Saltiwka am Stadtrand. Auch sein Haus wurde getroffen. Die Wände der Erdgeschosswohnung sind feucht. Auf dem Boden wellt sich das Parkett. Die Fenster sind zerborsten. Sultanow zeigt seine Küche: Der Splitter eines Geschosses durchbohrte die Wand des Kühlschranks. Aber er beschwert sich nicht. "Die ukrainischen Soldaten haben mir gratuliert, weil ich so ein Glückspilz bin." Er überlebte die Besatzung und die Flucht.

Von Schenja Iwanow, dem Wachmann, der so viel Angst hatte zu sterben, fehlt jede Spur.

*Name von der Redaktion geändert

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